Leben im Leisthaus
Die Geschwister Wallbaum
Von 1825 bis 1910 lebt Familie Wallbaum im heutigen Museum Hameln.
Wilhelm Adolph Detlef Wallbaum (geb. 1799 in Einbeck) kommt 1824 als junger Maurermeister nach Hameln. In den „Hamelnschen Anzeigen“ gibt er seine Anstellung durch den Magistrat bekannt:
„Dem geehrten Publikum hiesiger Stadt und Umgegend mache ich die gehorsamste Anzeige, daß ich von dem löblichen Magistrate hieselbst als Maurermeister angestellt bin und empfehle mich zugleich als Steinhauer und Verfertiger von Monumenten und ähnlichen Arbeiten.“
1825 heiratet Wilhelm Friederike Scharnhorst. Im selben Jahr bezieht das Paar das Leisthaus.
1827 wird der erste Sohn, Adolph, geboren. 1829 kommt dessen Schwester Friederike zur Welt, weitere zwei Jahre später Emma Wallbaum.
Wilhelm Wallbaum ist während den folgenden Jahren an vielen öffentlichen Bauprojekten in der Umgebung Hamelns beteiligt und engagiert sich politisch.
Friederike Wallbaum-Scharnhorst hingegen schottet sich und ihre Kinder von der Außenwelt ab. Die drei Sprösslinge werden streng erzogen und haben auf Geheiß der Mutter andere Kinder zu meiden.
Die Geschwister Wallbaum verlassen ihr Elternhaus nicht und bleiben unverheiratet. Für Emma Marie scheint die familiäre Situation besonders belastend zu sein: Sie begeht 1862 im Alter von 30 Jahren Selbstmord.
Nach dem Tod der Eltern 1867 und 1873 bewohnen Adolph und Friederike Wallbaum das Leisthaus allein. Der Tod der Eltern scheint der Auslöser dafür zu sein, dass sich Bruder und Schwester noch mehr aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Recht bald nach dem Tod des Vaters 1873 tritt Adolph Wallbaum nur noch als „Rentier“ in Erscheinung. Bruder und Schwester leben ab diesem Zeitpunkt von den üppigen Rücklagen.
Die Geschwister Wallbaum sind Anhänger der „guten, alten Zeit“. Das bedeutet eine starke Ablehnungshaltung Neuem und Ungewohntem gegenüber. Das äußert sich aber auch in einer fast schon wahnhaften Treue zum hannoverschen Königshaus. Adolph und Friederike gelten in Hameln als „Sonderlinge“. Dabei spielt einerseits der geheimgehaltene Selbstmord der Schwester Emma eine Rolle. Andererseits drückt sich im Lebensstil der beiden Wallbaums, im Beharren auf alten Gewohnheiten und Traditionen, in der überkommenen Wohnungseinrichtung und Hauswirtschaft, in Kleidung, Sprech- und Denkweise, auch Geiz aus. Vor allem letzteres scheint der Grund dafür zu sein, dass Adolph und Friederike nicht als harmlose „Originale“ in Ruhe gelassen, sondern als schrullige „Eigenbrötler“ verspottet werden.
Adolph Wallbaum liebt es, auf der Osterstraße zu flanieren, oder gemütlich im Ohrensessel in der Lucht zu sitzen, das Treiben vor dem Haus zu betrachten – und zu kommentieren. Er führt sogar ein Tagebuch, in dem er seine Eindrücke und Kommentare zum Weltgeschehen „draußen vor der Tür“ notiert. Es ist eine Sammlung kulturpessimistischer Äußerungen und erzreaktionärer Gesinnung. Vor allem die Eisenbahn, den „Motor der Moderne“ – und da stellte Wallbaum keinen Einzelfall in dieser Zeit dar – hasst er leidenschaftlich. Ebenso leidenschaftlich hasst er die freche und verzogene Jugend. Und die Hamelner Jugend verspottet ihn dafür.
Im Oktober 1898 gründet sich in Hameln der Museumsverein. Adolph Wallbaum ist eines der ersten Mitglieder. Er und seine Schwester sammeln selbst Kuriositäten und Altertümer und dekorieren ihr Wohnhaus wie ein Museum. Auch der Museumsverein ist pro-welfisch eingestellt und sieht seinen musealen Auftrag unter anderem in einer verherrlichenden Darstellung des Königreiches Hannover. Das Testament von Friederike und Adolph Wallbaum entsteht bereits 1901 und schon in der ersten Fassung wird der Verein als Erbe des Leisthauses und der „Wallbaum-Sammlungen“ – Münzen, Uhren, Gold- und Silbersachen und Dokumente – genannt.
Wenn man genau hinsieht, kann man hier Adolph Wallbaum in der Utlucht sitzend erkennen
Der Hinterhof des Leisthauses zu Wallbaums Zeiten (heute Teil des Michaelishofes)
Auf diesem Foto ist Adolph hinter dem geöffneten Fenster im ersten OG der Ultucht zu sehen. Friederike ist hinter den geschlossenen Fenstern rechts nur schemenhaft zu erkennen